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HomePolitikGerhard Spörl: Der Welterklärer

Wahlwiederholung in Berlin: Die Hauptstadt der Wurschtigkeit


Berliner Wahlchaos
Eine Bankrotterklärung

MeinungEine Kolumne von Gerhard Spörl

Aktualisiert am 21.11.2022Lesedauer: 3 Min.
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Franziska Giffey (SPD): Die Regierende Bürgermeisterin von Berlin muss sich bald wieder den Wählern stellen. (Quelle: IMAGO/Emmanuele Contini)

Berlin muss bald nochmals wählen. Die Aufregung hält sich in Grenzen, wie eigentlich immer. Warum ärgern, wenn man auch gleichgültig bleiben kann?

Das Papier für die Wahlzettel wird schon bedruckt und man kann nur hoffen, dass es sich diesmal ausschließlich um die richtigen handelt. Der Termin steht fest: 12. Februar 2023. Nur der Terminus ist falsch: Natürlich kann man eine Wahl im Wortsinn nicht wiederholen. Zwischen dem 26. September 2021 und heute ist so einiges passiert, um es milde zu sagen: Ukraine-Krieg, Inflation, Energiekrise. Es handelt sich zwangsläufig um eine Neuwahl.

Für sie sorgte das Berliner Verfassungsgericht, und das ist eigentlich erstaunlich. Denn zum Charakter der Stadt hätte ein Achselzucken aus der stadteigenen Wurschtigkeit gepasst, eine Geste des Amüsements, genauer gesagt des Zynismus, mit dem üblicherweise die Dysfunktionalität der Bürokratie und die Selbstvergessenheit des Senats medial begleitet wird.

Wobei man einräumen muss, dass sich die Regierende Bürgermeisterin redlich um die Annäherung an Normalverhältnisse bemühte, wie sie in München oder Hamburg herrschen. Nicht aber in Berlin, in dem die Bezirke zum Beispiel Macht besitzen, die sie auch gerne zur Blockade des Senats einsetzen. Die Grünen in Kreuzberg/Friedrichshain mit ihrem flexiblen Umgang mit dem Rechtsstaat sind ein beredtes Beispiel dafür.

Die Hauptstadt versagt jämmerlich

Insofern ist es ungerecht, wenn auch folgerichtig, dass sich die Opposition in Gestalt von CDU und FDP nicht nur die Hände reibt, sondern auch Franziska Giffey (SPD) als für das Wahl-Fiasko verantwortlich erklärt. Sofort nach dem Urteil ist der Wahlkampf ausgebrochen. Bettina Jarasch von den Grünen wittert genauso Morgenluft wie Kai Wegner von der CDU.

Eine Wahl in der deutschen Hauptstadt muss komplett wiederholt werden; zudem wird die Bundestagswahl in Teilen wiederholt. Eigentlich eine Bankrotterklärung. Die deutsche Hauptstadt versagt jämmerlich. Eigentlich ein Grund zum kollektiven Innehalten des politischen Establishments. Zur Selbstbefragung, was hier passiert, was in dieser Stadt im Argen liegt, weshalb sie, näher betrachtet, fast schon ein "failed state" ist. Und wie so manche Stagnation mit dem Verhältnis von Senat zu Bezirk, von der Stadt zur Bürokratie zusammenhängt.

Viele Fragen, gute Fragen. Wir wissen, wer sie nicht beantworten wollte. Der damalige Innensenator Andreas Geisel war zwar für die Wahlen an diesem Tag verantwortlich, aber auch wieder nicht, wie er befand, oder wenn doch, dann jedenfalls nicht allein. Die Wahlleiterin fand das Chaos mit fehlerhaften Wahlzetteln und weit über 18 Uhr hinaus geöffneten Wahllokalen nicht so schlimm und musste zum Rücktritt bequemt werden. Der damals Regierende Bürgermeister Michael Müller (SPD) verabschiedete sich in den Bundestag und war, obwohl es sich um einen Karriereknick handelte, vermutlich heilfroh darüber, dass andere mit dem Mist, den er hinterließ, fertig werden mussten.

Auch beim BER erstaunliche Indifferenz

Berlin ist eine extreme Stadt. Wunderbare Kultur, höchst subventioniert und zuverlässig vorzüglich. Überall wird gebaut, aber immer ist es zu wenig, und die Mieten sind zu teuer. Energieraubende Großstadt, die einzig wirkliche in Deutschland. Hohe Aggressivität, die sich im Kampf jeder gegen jeden tagtäglich im Stadtverkehr austobt. Rot ist nur eine Empfehlung. Radfahren ist regelfrei.

Zur Kehrseite gehört auch die erstaunliche Indifferenz gegenüber gravierenden Problemen. Der Bau des Flughafens begann im Jahr 2006, und 2011 sollte Eröffnung sein. 2020 endlich eröffnet, Kosten explodiert. Aufregung darüber? Sehr moderat, eben Ausdruck von Wurschtigkeit.

Interessant und lehrreich ist ja immer, worüber sich eine Stadt erregt, was ihr wichtig ist. In Hamburg trugen Mäzene zum Bau der Elbphilharmonie bei, die am Ende zigmal so viel kostete wie geplant. In Berlin mussten die Steuerzahler einspringen, als die Politiker in Berlin und Brandenburg den Bau an sich zogen und keinen Generalunternehmer beauftragten. Niemand musste zurücktreten, niemand übernahm Verantwortung.

Diese Hoffnung grenzt an Utopie

Oder Hertha BSC: Die herrschende Meinung in der Stadt ist, dass Lars Windhorst der falsche Investor war und davongejagt gehörte, was ja auch geschah; Antikapitalismus gehört nun mal zur DNA Berlins. Dass aber der Verein trotz der vielen Millionen Euro und einer Vielzahl an neuen Spielern, von denen etliche schnell wieder abgegeben wurden, weil sie ihr Geld nicht wert waren, immer noch am Tabellenende herumkrebst, löst in der Stadt eher Mitgefühl aus als Fassungslosigkeit.

Übrigens eine hübsche Pointe: Der 1. FC Union wirtschaftet beispielhaft umsichtig und zielsicher. Der Ost-Klub! Sein Budget liegt bei rund 100 Millionen Euro. Hertha hat 375 Millionen seit Windhorsts Einstieg vor drei Jahren in den Wind geschossen. Bemerkenswerte Leistung. Spitzenklasse!

Bald wählt Berlin neu und bestimmt seine Regierung. Das Landesverfassungsgericht untermalte sein Urteil mit der Hoffnung, dass die Demokratie verlorenes Vertrauen zurückgewinnen möge. Wäre schön, aber diese Hoffnung grenzt an Utopie. Die Berliner dürfen zufrieden sein, wenn es am 12. Februar keine größeren Pannen gibt.

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